Kirchen als Laboratorien der Demokratien

Glaube und Gemeinschaft geben Hoffnung gerade in Krisenzeiten

Kirchen könnten Laboratorien der Demokratie sein. Der Politologe Professor Paolo Naso von der Waldenserkirche in Italien sprach beim diesjährigen Europa-Forum der westfälischen Kirche über seine Zukunftsvision für die europäischen protestantischen Kirchen. Wie Kirchen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in verunsicherten Zeiten stärken können, zeigte Oberkirchenrat Patrick Roger Schnabel auf, der als Theologischer Referent bei der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tätig ist. Beide hielten Impulsvorträge beim diesjährigen landeskirchlichen Europa-Forum “Europäischer Verbundenheit in unsicheren Zeiten”, zu dem oikos-Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) eingeladen hatte.

Schnabel hob trotz der gegenwärtigen Krisen die positive Botschaft hervor: “Wir sprechen von Hoffnung und einem gelingenden Miteinander, das Zukunft hat! Wir trotzen Ängsten und Verzweifelungen!” Kirchen würden die Probleme nicht ausblenden und auch keine einfachen Lösung versprechen, sagte er. Der christliche Glaube leugnet Leid nicht, er überwindet es.” Der Blick richte sich vielmehr auf Lösungen, nicht auf die Probleme. “Wir bieten keine einfachen Lösungen, aber wir bieten einen Glauben und eine Gemeinschaft, die auch in Tiefen hält und trägt.”

Den Extremen an den linken und rechten Rändern warf der Theologe vor, die Ängste bei den Menschen für ihre politischen Zwecke auszunutzen und radikale Lösungen zu versprechen, die aber nicht der Lebenswirklichkeit entsprächen. Klimawandel und Migrationsbewegungen etwa seien nicht neu, aber sie sie würden auch in Randregionen des globalen Norden spürbar. Die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen seien komplex miteinander verbunden und “können nur durch komplexe, verbundene Lösungsstrategien bearbeitet werden.”

Mit Sorge betrachtet Schnabel, der auch im EKD-Büro in Brüssel tätig war, unterdessen den Bedeutungsverlust der internationalen Ökumene in den Kirchen. Sie müssten sich mehr und besser vernetzen über Grenzen hinweg. Auch der interreligiöse Dialog müsse im Ringen um den besten Ansatz für eine Gesellschaft intensiviert werden. Mehr Dialog und mehr Kooperation seien nötig, es brauche “mehr ökumenische und interreligiös engagierte und kompetente Menschen.”

In Europa und weltweit sieht Naso einige Demokratien in Gefahr. Die Hälfte der Welt werde von nicht-demokratischen System regierte, listete er auf und unterschied zwischen sogenannten “Wahl”-Demokratien mit eingeschränkten individuellen,kollektiven Freiheiten sowie “liberalen” Demokratien, in der Bürgerinnen und Bürger individuelle Rechte und Minderheitenrechte genießen würden. Als Beispiele für sterbende Demokratien nannte der Politikwissenschaftler die Türkei, Russland, Venezuela sowie auch Ungarn. In diesen Ländern gingen die Menschen formal weiterhin zur Wahl, formal gebe es auch eine Opposition, “aber die Demokratie wird in einem Schraubstock der Lüge, der Einschränkung der Grundrechte und der Unterdrückung der freiesten Stimmen erdrückt.”

In dieser Krise der Demokratie müssen sich die Kirchen seiner Ansicht nach entscheiden, ob sie Apparate des Konsens oder Laboratorien der Demokratie sein wollen. Demokratie sei kein für immer garantiertes System, sondern ein Prozess, der gelehrt, aufgebaut und gepflegt werden müsse. Die evangelischen Kirchen sind für Naso ein natürliches Laboratorium der Demokratie, in denen die Menschen- und Bürgerrechte eingehalten würden. “Viele unserer Kirchen haben gleichgeschlechtliche Ehen lange vor den nationalen Parlamenten anerkannt und bieten sich oft als geschützter Raum für Menschen an, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden.” Auch seien die Kirchen und christlichen Gemeinschaften nach dem Zweiten Weltkrieg die Orte gewesen, ” in denen die ersten Träume von einem versöhnten und dem Frieden verpflichteten Europa geteilt werden konnten.”

Auch wenn Kirchen kleiner werden, könnten sie auch heute noch Laboratorien der Demokratie sein. “In atomisierten, desintegrierten und marginalisierten Gesellschaften können sie Orte des sozialen Sinns und des Zusammenhalts sein.” Trotz aller Kriege, Gewalt, Fundamentalismen und Rassismen sei ihre Zukunftsagenda darauf ausgerichtet, “Orte der Hoffnung zu sein”, sagte Naso, der als Erster das Flüchtlingsprogramm “Mediterranean Hope” des Bundes der Evangelischen Kirchen in Italien (FCEI) koordinierte.

Workshops zur Begegnungs- und Versöhnungsarbeit mit Belarus sowie zur Orangenaktion

Vor fast 30 Jahren hat die Gemeindepädagogin Ulrike Jaeger (Kirchenkreis Herford) ein Projekt zur Begegnungs- und Versöhnungsarbeit in und mit Belarus gegründet. In internationalen Jugend-Work-Camps erledigen Jugendlichen aus Deutschland und Weißrussland gemeinsam Renovierungsarbeiten in Häusern von Kriegsüberlebenden vor Ort. Dabei lernen Jugendliche nicht nur handwerkliches Geschick, sondern leisten zugleich einen Beitrag zur Völkerverständigung, Friedens- und Versöhnungsarbeit in Dörfern, die während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen niedergebrannt worden waren.

Auf dem Forum informierte Ulrike Jaeger über diese Arbeit und berichtete, dass von 1995 bis 2019 mehr als 700 Jugendliche aus allen Bildungsschichten rund 150 Häuser renoviert und enge Beziehungen mit den Einwohner*innen geknüpft haben. Diese fühlten sich durch die Begegnung wirklich wahrgenommen und schätzten die Besuche sehr. Jaeger selbst sagt über ihre Arbeit, es gehe darum, den Menschen Ansehen zu geben, ganz wie es auch Jesus getan hat. Der Bericht war ein Beispiel dafür, wie wichtig direkte Begegnungen sind, damit Versöhnung gelingen kann.

Unter dem Titel “Aktiv werden für Menschenrechte” stand ein weiterer Workshop, bei dem Katja Breyer vom oikos-Institut die Orangen-Aktion “Süß statt bitter” vorstellte. Diese macht auf menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft in Europa aufmerksam. Der Schwerpunkt liegt auf Orangenplantagen in Süditalien, wo Migrant*innen – meist aus Afrika – als moderne Sklaven ausgebeutet werden. Das Projekt verbindet einen praktischen Fairen Handel mit fairen Orangen aus Süditalien mit Bildungsarbeit zu der Thematik. Mehr Infos dazu gibt es hier: Süß statt bitter – die Orangen-Aktion

Bildinfo: Das Europa-Forum hatten Pfarrerin Stefanie Lüders (1.v.r.), Vorsitzende des Unterausschusses Europa der EKvW, und Annika Huneke (1.v.l.) vom oikos-Institut als Referentin für Kirchenpartnerschaften, vorbereitet. Die Impulsvorträge hielten Oberkirchenrat Patrick Roger Schnabel und Professor Paolo Naso (2.v.r.).

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Kirchen als Laboratorien der Demokratien

Glaube und Gemeinschaft geben Hoffnung gerade in Krisenzeiten

Kirchen könnten Laboratorien der Demokratie sein. Der Politologe Professor Paolo Naso von der Waldenserkirche in Italien sprach beim diesjährigen Europa-Forum der westfälischen Kirche über seine Zukunftsvision für die europäischen protestantischen Kirchen. Wie Kirchen den gesellschaftlichen Zusammenhalt in verunsicherten Zeiten stärken können, zeigte Oberkirchenrat Patrick Roger Schnabel auf, der als Theologischer Referent bei der Bevollmächtigten des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) tätig ist. Beide hielten Impulsvorträge beim diesjährigen landeskirchlichen Europa-Forum “Europäischer Verbundenheit in unsicheren Zeiten”, zu dem oikos-Institut der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) eingeladen hatte.

Schnabel hob trotz der gegenwärtigen Krisen die positive Botschaft hervor: “Wir sprechen von Hoffnung und einem gelingenden Miteinander, das Zukunft hat! Wir trotzen Ängsten und Verzweifelungen!” Kirchen würden die Probleme nicht ausblenden und auch keine einfachen Lösung versprechen, sagte er. Der christliche Glaube leugnet Leid nicht, er überwindet es.” Der Blick richte sich vielmehr auf Lösungen, nicht auf die Probleme. “Wir bieten keine einfachen Lösungen, aber wir bieten einen Glauben und eine Gemeinschaft, die auch in Tiefen hält und trägt.”

Den Extremen an den linken und rechten Rändern warf der Theologe vor, die Ängste bei den Menschen für ihre politischen Zwecke auszunutzen und radikale Lösungen zu versprechen, die aber nicht der Lebenswirklichkeit entsprächen. Klimawandel und Migrationsbewegungen etwa seien nicht neu, aber sie sie würden auch in Randregionen des globalen Norden spürbar. Die politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen seien komplex miteinander verbunden und “können nur durch komplexe, verbundene Lösungsstrategien bearbeitet werden.”

Mit Sorge betrachtet Schnabel, der auch im EKD-Büro in Brüssel tätig war, unterdessen den Bedeutungsverlust der internationalen Ökumene in den Kirchen. Sie müssten sich mehr und besser vernetzen über Grenzen hinweg. Auch der interreligiöse Dialog müsse im Ringen um den besten Ansatz für eine Gesellschaft intensiviert werden. Mehr Dialog und mehr Kooperation seien nötig, es brauche “mehr ökumenische und interreligiös engagierte und kompetente Menschen.”

In Europa und weltweit sieht Naso einige Demokratien in Gefahr. Die Hälfte der Welt werde von nicht-demokratischen System regierte, listete er auf und unterschied zwischen sogenannten “Wahl”-Demokratien mit eingeschränkten individuellen,kollektiven Freiheiten sowie “liberalen” Demokratien, in der Bürgerinnen und Bürger individuelle Rechte und Minderheitenrechte genießen würden. Als Beispiele für sterbende Demokratien nannte der Politikwissenschaftler die Türkei, Russland, Venezuela sowie auch Ungarn. In diesen Ländern gingen die Menschen formal weiterhin zur Wahl, formal gebe es auch eine Opposition, “aber die Demokratie wird in einem Schraubstock der Lüge, der Einschränkung der Grundrechte und der Unterdrückung der freiesten Stimmen erdrückt.”

In dieser Krise der Demokratie müssen sich die Kirchen seiner Ansicht nach entscheiden, ob sie Apparate des Konsens oder Laboratorien der Demokratie sein wollen. Demokratie sei kein für immer garantiertes System, sondern ein Prozess, der gelehrt, aufgebaut und gepflegt werden müsse. Die evangelischen Kirchen sind für Naso ein natürliches Laboratorium der Demokratie, in denen die Menschen- und Bürgerrechte eingehalten würden. “Viele unserer Kirchen haben gleichgeschlechtliche Ehen lange vor den nationalen Parlamenten anerkannt und bieten sich oft als geschützter Raum für Menschen an, die aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden.” Auch seien die Kirchen und christlichen Gemeinschaften nach dem Zweiten Weltkrieg die Orte gewesen, ” in denen die ersten Träume von einem versöhnten und dem Frieden verpflichteten Europa geteilt werden konnten.”

Auch wenn Kirchen kleiner werden, könnten sie auch heute noch Laboratorien der Demokratie sein. “In atomisierten, desintegrierten und marginalisierten Gesellschaften können sie Orte des sozialen Sinns und des Zusammenhalts sein.” Trotz aller Kriege, Gewalt, Fundamentalismen und Rassismen sei ihre Zukunftsagenda darauf ausgerichtet, “Orte der Hoffnung zu sein”, sagte Naso, der als Erster das Flüchtlingsprogramm “Mediterranean Hope” des Bundes der Evangelischen Kirchen in Italien (FCEI) koordinierte.

Workshops zur Begegnungs- und Versöhnungsarbeit mit Belarus sowie zur Orangenaktion

Vor fast 30 Jahren hat die Gemeindepädagogin Ulrike Jaeger (Kirchenkreis Herford) ein Projekt zur Begegnungs- und Versöhnungsarbeit in und mit Belarus gegründet. In internationalen Jugend-Work-Camps erledigen Jugendlichen aus Deutschland und Weißrussland gemeinsam Renovierungsarbeiten in Häusern von Kriegsüberlebenden vor Ort. Dabei lernen Jugendliche nicht nur handwerkliches Geschick, sondern leisten zugleich einen Beitrag zur Völkerverständigung, Friedens- und Versöhnungsarbeit in Dörfern, die während des Zweiten Weltkrieges von den Deutschen niedergebrannt worden waren.

Auf dem Forum informierte Ulrike Jaeger über diese Arbeit und berichtete, dass von 1995 bis 2019 mehr als 700 Jugendliche aus allen Bildungsschichten rund 150 Häuser renoviert und enge Beziehungen mit den Einwohner*innen geknüpft haben. Diese fühlten sich durch die Begegnung wirklich wahrgenommen und schätzten die Besuche sehr. Jaeger selbst sagt über ihre Arbeit, es gehe darum, den Menschen Ansehen zu geben, ganz wie es auch Jesus getan hat. Der Bericht war ein Beispiel dafür, wie wichtig direkte Begegnungen sind, damit Versöhnung gelingen kann.

Unter dem Titel “Aktiv werden für Menschenrechte” stand ein weiterer Workshop, bei dem Katja Breyer vom oikos-Institut die Orangen-Aktion “Süß statt bitter” vorstellte. Diese macht auf menschenunwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen in der Landwirtschaft in Europa aufmerksam. Der Schwerpunkt liegt auf Orangenplantagen in Süditalien, wo Migrant*innen – meist aus Afrika – als moderne Sklaven ausgebeutet werden. Das Projekt verbindet einen praktischen Fairen Handel mit fairen Orangen aus Süditalien mit Bildungsarbeit zu der Thematik. Mehr Infos dazu gibt es hier: Süß statt bitter – die Orangen-Aktion

Bildinfo: Das Europa-Forum hatten Pfarrerin Stefanie Lüders (1.v.r.), Vorsitzende des Unterausschusses Europa der EKvW, und Annika Huneke (1.v.l.) vom oikos-Institut als Referentin für Kirchenpartnerschaften, vorbereitet. Die Impulsvorträge hielten Oberkirchenrat Patrick Roger Schnabel und Professor Paolo Naso (2.v.r.).

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