Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza sind allgegenwärtig

Eindrücke aus Israel und Palästina

Nach Israel und in palästinensische Gebiete sind Ralf Lange-Sonntag, Nahost-Referent der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) und oikos-Mitarbeiter, und Jens Nieper, Vorsitzender des Ökumene-Unterausschusses Naher und Mittlerer Osten, gereist. Ihr Ziel war es, den von Krieg und Terror betroffenen Menschen vor Ort die Solidarität der Evangelischen Kirche von Westfalen auszusprechen, ihre Sorgen und Hoffnungen wahrzunehmen und die Beziehungen zu Partnerkirchen und -organisationen zu stärken.

Die meisten Eindrücke, die sie von ihrer Reise mitnahmen, drehen sich um die Auswirkungen des Hamas-Terroranschlags vom 7. Oktober 2023 und des dadurch ausgelösten Gaza-Krieges. Das beginnt schon bei der Anreise: Fast alle europäischen Fluggesellschaften haben den Flugverkehr nach Tel Aviv ausgesetzt, von Frankfurt am Main fliegt nur die israelische El Al regelmäßig nach Israel. Entsprechend leer ist auch der Flughafen in Tel Aviv.

Ebenso prägen die Trauer um die Ermordeten des Hamas-Terroranschlags und die Sorge um die weiterhin in Gaza festgehaltenen Geiseln bereits bei der Ankunft in Israel die weitere Reise der Delegation. Beim Weg durch das Flughafengebäude passieren Lange-Sonntag und Nieper die Bilder der Geiseln, und selbst am Flughafentower prangt weit sichtbar die gelbe Schleife, Zeichen für die Forderung, die Geiseln zu befreien: „Bring them home!“

Als besonders eindrücklich ist für sie das Treffen mit einer Überlebenden des Anschlags aus dem Kibbuz Re’im. Ein anderes, ein aggressives und revanchistisches Israel erleben Lange-Sonntag und Nieper am Jerusalem-Tag: einem Feiertag, der an die Eroberung Jerusalems im Jahr 1967 und den dadurch ermöglichten Zugang zur Klagemauer erinnert. Und von einem „neuen Normal“ sprechen die Schülerinnen an der deutschen Auslandsschule Talitha Kumi im palästinensischen Beit Jala bei Bethlehem.

Den ausführlichen Bericht zum Nachlesen gibt es hier:

Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza sind allgegenwärtig

Ralf Lange-Sonntag, Nahostreferent der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) und oikos-Mitarbeiter, und Jens Nieper, Vorsitzender des Ökumene-Unterausschusses Naher und Mittlerer Osten, sind im vergangenen Monat durch Israel und Palästina gereist. Ihr Ziel war es, den von Krieg und Terror betroffenen Menschen vor Ort die Solidarität der Evangelischen Kirche von Westfalen auszusprechen, ihre Sorgen und Hoffnungen wahrzunehmen und die Beziehungen zu Partnerkirchen und -organisationen zu stärken.

Die meisten Eindrücke, die Nieper und Lange-Sonntag, von ihrer Reise mitnehmen, drehen sich um die Auswirkungen des Hamas-Terroranschlags vom 7. Oktober 2023 und des dadurch ausgelösten Gaza-Krieges. Das beginnt schon bei der Anreise: Fast alle europäischen Fluggesellschaften haben den Flugverkehr nach Tel Aviv ausgesetzt, von Frankfurt am Main fliegt nur die israelische El Al regelmäßig nach Israel. Entsprechend leer ist auch der Flughafen in Tel Aviv. Nur einige vereinzelte Flugzeuge stehen auf dem großen Flughafenareal herum, die Zahl sowohl der kommenden als auch der auf den Abflug wartenden Fluggäste ist überschaubar. Die Schlangen bei der Grenzkontrolle sind entsprechend kurz, denn die zu normalen Zeiten ins Land reisenden Pilger- und Touristengruppen kommen schon fast zwei Jahre nicht mehr.

Ebenso prägen die Trauer um die Ermordeten des Hamas-Terroranschlags und die Sorge um die weiterhin in Gaza festgehaltenen Geiseln bereits bei der Ankunft in Israel die weitere Reise der Delegation. Beim Weg durch das Flughafengebäude passieren Lange-Sonntag und Nieper die Bilder der Geiseln, und selbst am Flughafentower prangt weit sichtbar die gelbe Schleife, Zeichen für die Forderung, die Geiseln zu befreien: „Bring them home!“

In den nächsten drei Tagen, die Lange-Sonntag und Nieper im Raum Haifa und Tel Aviv verbringen, begegnen ihnen die Symbolfarbe Gelb und die Erinnerung an die Geiseln immer wieder: Wehende gelbe Fahnen am Straßenrand, ein gelber leerer Stuhl in der Synagoge des liberal-jüdischen Leo-Baeck-Education-Centers in Haifa oder die Bilder der getöteten oder in Gaza verschleppten Studierenden im Eingangsbereich des Academic Colleges Yaffo-Tel Aviv. Die Debatte um Krieg und Geiseln wird nicht zuletzt im öffentlichen Raum ausgetragen: Aufkleber an Laternenpfosten zeugen von der Meinungsvielfalt wie von der Aggressivität der Debatte.

Eine Überlebende des Terroranschlags erinnert sich

Besonders eindrücklich ist das Treffen mit einer Überlebenden des Anschlags aus dem Kibbuz Re’im. Varda ist sichtlich aufgewühlt, als sie beginnt, von dem schlimmsten Tag ihres Lebens zu erzählen, davon, dass erst die Flüchtlinge vom nahegelegenen Nova-Musik-Festival bei ihnen im Kibbuz angekommen sind und kurze Zeit später die Terroristen der Hamas, die wahllos morden und eine Schneise der Zerstörung schlagen.

Die Überlebenden des eher säkular und liberal eingestellten Kibbuz werden zunächst in Hotels in Eilat am Roten Meer untergebracht. Auf eigene Initiative gelingt es ihnen, zwei Hochhäuser inmitten von Tel Aviv zugesprochen zu bekommen. Dort können sie vorübergehend in Gemeinschaft leben und sich gegenseitig in ihrer Trauer beistehen.

Bitterkeit und Enttäuschung über die israelische Regierung klingt bei Varda an, als sie von dem Gutachten spricht, das die Vorkommnisse des 7. Oktobers durchleuchten soll. Der Kibbuz habe dies selbst in Auftrag gegeben, denn die Regierung des Landes scheine an einer Aufarbeitung kein Interesse zu haben. Geplant ist, dass die Mehrheit der Kibbuzniks im Juni wieder zurück in ihren Heimatort ziehen können. In die Freude darüber mische sich aber die Angst vor dem, was sie erwarte, und vor den Erinnerungen, die sich wieder einstellen würden.

Ein anderes, ein aggressives und revanchistisches Israel erleben Lange-Sonntag und Nieper am Jerusalem-Tag, einem Feiertag, der an die Eroberung Jerusalems im Jahr 1967 und den dadurch ermöglichten Zugang zur Klagemauer erinnert. Aus dem ganzen Land reisen Menschen an, darunter nicht wenige Schülerinnen und Schüler religiöser Schulen. Der Demonstrationszug der National-Religiösen führt auch durch das muslimische Viertel der Jerusalem Altstadt – eine Provokation für die dortige palästinensische Bevölkerung. Es gibt Berichte und Bilder von gewaltsamen Übergriffen gegen Araber und deren Geschäfte.

Nieper und Lange-Sonntag sind auch geschockt darüber, wie viele Menschen auf dem Jerusalemtag die Errichtung des dritten Tempels fordern. Nicht nur, dass die dann wieder aufgenommenen Opferrituale das Leben unzähliger Tiere kosten würde – gravierender ist, dass die für den Bau des dritten Tempels notwendige Zerstörung des Felsendoms und der Al-Aksa-Moschee, dem drittheiligsten Ort des Islams, einen Weltkrieg entfesseln könnte. All das wird anscheinend von den Demonstranten nicht in Betracht gezogen.

„Neue Normalität“ 

Zwischen diesen Extremen ist in Israel eine Art von Normalität erkennbar: Das tägliche Leben geht weiter, überall wird gebaut, am Strand von Nahariya sonnt man sich und badet im Mittelmeer, während der Soundcheck für das Rockkonzert am Abend durchgeführt wird, und zur Rush-Hour reihen sich die Autos in die vielen Staus in und um Tel Aviv ein.

Von einem „neuen Normal“ sprechen auch die Schülerinnen an der deutschen Auslandsschule Talitha Kumi im palästinensischen Beit Jala bei Bethlehem. Die zunehmenden Checkpoints auf dem Weg zur Schule und die Unsicherheit, ob diese offen oder geschlossen sind, erschweren die Planung des Schulwegs und des Alltags. Ihre Lehrerinnen berichten von zunehmender Angst, Aggressivität und Konzentrationsmängeln in ihrer Schule. Es gibt niemanden, der vom Krieg in Gaza nicht betroffen wäre. Jede und jeder kennt Freunde und Verwandte, die in Gaza gestorben sind, und viele Eltern sind arbeitslos geworden, zum einen, weil der gesamte touristische Wirtschaftssektor zusammengebrochen ist, zum anderen, weil fast alle Arbeitserlaubnisse für Jerusalem oder Israel zurückgenommen wurden.

Die Mehrheit der Schülerinnen, mit denen Lange-Sonntag und Nieper sprechen, sehen daher in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Sie hoffen vielmehr auf die Möglichkeit, nach dem Abitur in der westlichen Welt zu studieren und eine Anstellung zu finden, auch wenn ihnen ihre Heimat sehr viel bedeutet. Eine spätere Rückkehr in das Westjordanland ist für die meisten zunehmend keine Option mehr.

Dass immer mehr palästinensische Familien auswandern, vor allem christliche Familien, ist für Dr. Sani Ibrahim Azar, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land, eine große Herausforderung. Durch die kirchliche Bildungsarbeit und die neugegründete Diakonieabteilung versucht die evangelisch-lutherische Kirche gegenzusteuern, was ihnen aber nur bedingt gelingt. Angesichts einer Arbeitslosigkeit von bis zu 80 Prozent, dem Einbruch des Tourismussektors und mangelnder Karrierechancen für die jungen Menschen im Westjordanland bleibt die Kirche bei ihrer wichtigen Arbeit auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen.

Ohnehin wird der Spielraum der Palästinenser*innen im Westjordanland immer geringer. Die Entfernung zwischen der Gemeinde von Ramallah und der Gemeinde von Bethlehem beträgt nur ca. 30 Kilometer Luftlinie. Wegen der Checkpoints dauert die Fahrt aber oft mehrere Stunden, wenn man überhaupt ans Ziel kommt. Ohnehin sind die national-religiösen Siedler mit ihren gegen das Völkerrecht verstoßenen Siedlungen im Westjordanland ein Faktor, der einen selbständigen Staat Palästina immer unwahrscheinlicher macht.

Angst vor weiterer Vertreibung und Zerstörung 

Menschenrechtsorganisationen berichten, dass im Schatten des Gaza-Krieges radikale jüdische Siedler immer aggressiver agierten. Immer häufiger würden Schafe von palästinensischen Hirten gestohlen, Olivenbäume ausgerissen oder illegale Außenposten in und außerhalb von palästinensischen Orten errichtet. Das Militär lasse die Siedler meist gewähren oder decke deren unrechtmäßige Taten sogar.

In Gesprächen mit Nieper und Lange-Sonntag äußerten palästinensische Christ*innen oft die Angst, dass nach Gaza auch die Westbank mit Vertreibung und Zerstörung rechnen müsse. Im Norden der Westbank hat das israelische Militär bereits hart durchgegriffen und mehrere Straßenzüge zerstört.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer machen für Nieper und Lange-Sonntag die vielen Nichtregierungsorganisationen aus, die sich für eine Begegnung und Versöhnung zwischen Menschen unterschiedlichster Religion oder Nationalität stark machen. „Wir tun das normalste der Welt: Wir unterstützen Menschen, die um Hilfe bitten.“, betont die Geschäftsführerin von „Road to Recovery“. Die israelische NGO bringt kranke Menschen von der Grenze des Westjordanlandes (und früher auch von Gaza) für notwendige Operationen zu Kliniken in Israel und zurück. Die Geschäftsführerin berichtet aber auch von wachsender Feindschaft gegen ihre Arbeit: war die arabische Seite seit jeher zurückhaltend, die Arbeit der Organisation zu unterstützen, kämen nun Drohungen von jüdischen Israelis hinzu.

Dass ein Zusammenleben von arabischen und jüdischen Israelis möglich ist, zeigten beispielsweise der palästinensische Christ John und der orthodoxe Jude Ruben vom Rossing Center für Education and Dialogue in Jerusalem oder die Verantwortlichen des Leo-Baeck-Education-Centers in Haifa, deren jüdisch-arabisches Summercamp von der EKvW finanziell unterstützt wird. Viele Nichtregierungsorganisationen berichten jedoch auch davon, dass versucht wird, ihren Handlungsspielraum immer weiter einzuengen.

So versuche die rechts-gerichtete derzeitige Regierung Israels, alle Organisationen, die Zuschüsse von ausländischen Staaten erhalten, mit einer 80%igen Steuer zu belegen. Wenn nicht nötiger Druck aus dem Ausland erfolge, würde dieses Steuergesetz das Aus vieler Organisationen bedeuten, die sich für Verständigung und Frieden einsetzten.

„Man lässt keine Menschen verhungern. Punkt.“

Als ein erstes Fazit nennen Lange-Sonntag und Nieper, dass die Gründe, hoffnungsvoll auf das Heilige Land zu schauen, schwinden. Die Sorgen all jener in der Region, die sich für Frieden und Versöhnung, für Menschenrechte und Dialog einsetzen, wachsen. Umso dankbarer wurde der Besuch der Mini-Delegation wahrgenommen und wertgeschätzt.

Wichtig sei, dass die Christinnen und Christen sich für die betroffenen Menschen im Heiligen Land einsetzen. Angesichts der fürchterlichen Zustände in Gaza muss von den Kirchen schon aus humanitären Gründen die eindeutige Botschaft ausgehen: „Man lässt keine Menschen verhungern. Punkt.“

Siehe zum Thema „Gaza-Krieg“ auch die gemeinsame Stellungnahme von EKD und Diakonie-Katastrophenhilfe vom 26. Mai 2025:
https://www.ekd.de/humanitaere-katastrophe-beenden-90523.htm

Weiterer Bericht unter: https://www.evangelisch-in-westfalen.de/aktuelles/detailansicht/news/westfaelische-delegation-besucht-israel-und-palaestina/

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Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza sind allgegenwärtig

Eindrücke aus Israel und Palästina

Nach Israel und in palästinensische Gebiete sind Ralf Lange-Sonntag, Nahost-Referent der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) und oikos-Mitarbeiter, und Jens Nieper, Vorsitzender des Ökumene-Unterausschusses Naher und Mittlerer Osten, gereist. Ihr Ziel war es, den von Krieg und Terror betroffenen Menschen vor Ort die Solidarität der Evangelischen Kirche von Westfalen auszusprechen, ihre Sorgen und Hoffnungen wahrzunehmen und die Beziehungen zu Partnerkirchen und -organisationen zu stärken.

Die meisten Eindrücke, die sie von ihrer Reise mitnahmen, drehen sich um die Auswirkungen des Hamas-Terroranschlags vom 7. Oktober 2023 und des dadurch ausgelösten Gaza-Krieges. Das beginnt schon bei der Anreise: Fast alle europäischen Fluggesellschaften haben den Flugverkehr nach Tel Aviv ausgesetzt, von Frankfurt am Main fliegt nur die israelische El Al regelmäßig nach Israel. Entsprechend leer ist auch der Flughafen in Tel Aviv.

Ebenso prägen die Trauer um die Ermordeten des Hamas-Terroranschlags und die Sorge um die weiterhin in Gaza festgehaltenen Geiseln bereits bei der Ankunft in Israel die weitere Reise der Delegation. Beim Weg durch das Flughafengebäude passieren Lange-Sonntag und Nieper die Bilder der Geiseln, und selbst am Flughafentower prangt weit sichtbar die gelbe Schleife, Zeichen für die Forderung, die Geiseln zu befreien: „Bring them home!“

Als besonders eindrücklich ist für sie das Treffen mit einer Überlebenden des Anschlags aus dem Kibbuz Re’im. Ein anderes, ein aggressives und revanchistisches Israel erleben Lange-Sonntag und Nieper am Jerusalem-Tag: einem Feiertag, der an die Eroberung Jerusalems im Jahr 1967 und den dadurch ermöglichten Zugang zur Klagemauer erinnert. Und von einem „neuen Normal“ sprechen die Schülerinnen an der deutschen Auslandsschule Talitha Kumi im palästinensischen Beit Jala bei Bethlehem.

Den ausführlichen Bericht zum Nachlesen gibt es hier:

Der 7. Oktober und der Krieg in Gaza sind allgegenwärtig

Ralf Lange-Sonntag, Nahostreferent der Evangelischen Kirche von Westfalen (EKvW) und oikos-Mitarbeiter, und Jens Nieper, Vorsitzender des Ökumene-Unterausschusses Naher und Mittlerer Osten, sind im vergangenen Monat durch Israel und Palästina gereist. Ihr Ziel war es, den von Krieg und Terror betroffenen Menschen vor Ort die Solidarität der Evangelischen Kirche von Westfalen auszusprechen, ihre Sorgen und Hoffnungen wahrzunehmen und die Beziehungen zu Partnerkirchen und -organisationen zu stärken.

Die meisten Eindrücke, die Nieper und Lange-Sonntag, von ihrer Reise mitnehmen, drehen sich um die Auswirkungen des Hamas-Terroranschlags vom 7. Oktober 2023 und des dadurch ausgelösten Gaza-Krieges. Das beginnt schon bei der Anreise: Fast alle europäischen Fluggesellschaften haben den Flugverkehr nach Tel Aviv ausgesetzt, von Frankfurt am Main fliegt nur die israelische El Al regelmäßig nach Israel. Entsprechend leer ist auch der Flughafen in Tel Aviv. Nur einige vereinzelte Flugzeuge stehen auf dem großen Flughafenareal herum, die Zahl sowohl der kommenden als auch der auf den Abflug wartenden Fluggäste ist überschaubar. Die Schlangen bei der Grenzkontrolle sind entsprechend kurz, denn die zu normalen Zeiten ins Land reisenden Pilger- und Touristengruppen kommen schon fast zwei Jahre nicht mehr.

Ebenso prägen die Trauer um die Ermordeten des Hamas-Terroranschlags und die Sorge um die weiterhin in Gaza festgehaltenen Geiseln bereits bei der Ankunft in Israel die weitere Reise der Delegation. Beim Weg durch das Flughafengebäude passieren Lange-Sonntag und Nieper die Bilder der Geiseln, und selbst am Flughafentower prangt weit sichtbar die gelbe Schleife, Zeichen für die Forderung, die Geiseln zu befreien: „Bring them home!“

In den nächsten drei Tagen, die Lange-Sonntag und Nieper im Raum Haifa und Tel Aviv verbringen, begegnen ihnen die Symbolfarbe Gelb und die Erinnerung an die Geiseln immer wieder: Wehende gelbe Fahnen am Straßenrand, ein gelber leerer Stuhl in der Synagoge des liberal-jüdischen Leo-Baeck-Education-Centers in Haifa oder die Bilder der getöteten oder in Gaza verschleppten Studierenden im Eingangsbereich des Academic Colleges Yaffo-Tel Aviv. Die Debatte um Krieg und Geiseln wird nicht zuletzt im öffentlichen Raum ausgetragen: Aufkleber an Laternenpfosten zeugen von der Meinungsvielfalt wie von der Aggressivität der Debatte.

Eine Überlebende des Terroranschlags erinnert sich

Besonders eindrücklich ist das Treffen mit einer Überlebenden des Anschlags aus dem Kibbuz Re’im. Varda ist sichtlich aufgewühlt, als sie beginnt, von dem schlimmsten Tag ihres Lebens zu erzählen, davon, dass erst die Flüchtlinge vom nahegelegenen Nova-Musik-Festival bei ihnen im Kibbuz angekommen sind und kurze Zeit später die Terroristen der Hamas, die wahllos morden und eine Schneise der Zerstörung schlagen.

Die Überlebenden des eher säkular und liberal eingestellten Kibbuz werden zunächst in Hotels in Eilat am Roten Meer untergebracht. Auf eigene Initiative gelingt es ihnen, zwei Hochhäuser inmitten von Tel Aviv zugesprochen zu bekommen. Dort können sie vorübergehend in Gemeinschaft leben und sich gegenseitig in ihrer Trauer beistehen.

Bitterkeit und Enttäuschung über die israelische Regierung klingt bei Varda an, als sie von dem Gutachten spricht, das die Vorkommnisse des 7. Oktobers durchleuchten soll. Der Kibbuz habe dies selbst in Auftrag gegeben, denn die Regierung des Landes scheine an einer Aufarbeitung kein Interesse zu haben. Geplant ist, dass die Mehrheit der Kibbuzniks im Juni wieder zurück in ihren Heimatort ziehen können. In die Freude darüber mische sich aber die Angst vor dem, was sie erwarte, und vor den Erinnerungen, die sich wieder einstellen würden.

Ein anderes, ein aggressives und revanchistisches Israel erleben Lange-Sonntag und Nieper am Jerusalem-Tag, einem Feiertag, der an die Eroberung Jerusalems im Jahr 1967 und den dadurch ermöglichten Zugang zur Klagemauer erinnert. Aus dem ganzen Land reisen Menschen an, darunter nicht wenige Schülerinnen und Schüler religiöser Schulen. Der Demonstrationszug der National-Religiösen führt auch durch das muslimische Viertel der Jerusalem Altstadt – eine Provokation für die dortige palästinensische Bevölkerung. Es gibt Berichte und Bilder von gewaltsamen Übergriffen gegen Araber und deren Geschäfte.

Nieper und Lange-Sonntag sind auch geschockt darüber, wie viele Menschen auf dem Jerusalemtag die Errichtung des dritten Tempels fordern. Nicht nur, dass die dann wieder aufgenommenen Opferrituale das Leben unzähliger Tiere kosten würde – gravierender ist, dass die für den Bau des dritten Tempels notwendige Zerstörung des Felsendoms und der Al-Aksa-Moschee, dem drittheiligsten Ort des Islams, einen Weltkrieg entfesseln könnte. All das wird anscheinend von den Demonstranten nicht in Betracht gezogen.

„Neue Normalität“ 

Zwischen diesen Extremen ist in Israel eine Art von Normalität erkennbar: Das tägliche Leben geht weiter, überall wird gebaut, am Strand von Nahariya sonnt man sich und badet im Mittelmeer, während der Soundcheck für das Rockkonzert am Abend durchgeführt wird, und zur Rush-Hour reihen sich die Autos in die vielen Staus in und um Tel Aviv ein.

Von einem „neuen Normal“ sprechen auch die Schülerinnen an der deutschen Auslandsschule Talitha Kumi im palästinensischen Beit Jala bei Bethlehem. Die zunehmenden Checkpoints auf dem Weg zur Schule und die Unsicherheit, ob diese offen oder geschlossen sind, erschweren die Planung des Schulwegs und des Alltags. Ihre Lehrerinnen berichten von zunehmender Angst, Aggressivität und Konzentrationsmängeln in ihrer Schule. Es gibt niemanden, der vom Krieg in Gaza nicht betroffen wäre. Jede und jeder kennt Freunde und Verwandte, die in Gaza gestorben sind, und viele Eltern sind arbeitslos geworden, zum einen, weil der gesamte touristische Wirtschaftssektor zusammengebrochen ist, zum anderen, weil fast alle Arbeitserlaubnisse für Jerusalem oder Israel zurückgenommen wurden.

Die Mehrheit der Schülerinnen, mit denen Lange-Sonntag und Nieper sprechen, sehen daher in ihrer Heimat keine Zukunft mehr. Sie hoffen vielmehr auf die Möglichkeit, nach dem Abitur in der westlichen Welt zu studieren und eine Anstellung zu finden, auch wenn ihnen ihre Heimat sehr viel bedeutet. Eine spätere Rückkehr in das Westjordanland ist für die meisten zunehmend keine Option mehr.

Dass immer mehr palästinensische Familien auswandern, vor allem christliche Familien, ist für Dr. Sani Ibrahim Azar, Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche von Jordanien und dem Heiligen Land, eine große Herausforderung. Durch die kirchliche Bildungsarbeit und die neugegründete Diakonieabteilung versucht die evangelisch-lutherische Kirche gegenzusteuern, was ihnen aber nur bedingt gelingt. Angesichts einer Arbeitslosigkeit von bis zu 80 Prozent, dem Einbruch des Tourismussektors und mangelnder Karrierechancen für die jungen Menschen im Westjordanland bleibt die Kirche bei ihrer wichtigen Arbeit auf Unterstützung aus dem Ausland angewiesen.

Ohnehin wird der Spielraum der Palästinenser*innen im Westjordanland immer geringer. Die Entfernung zwischen der Gemeinde von Ramallah und der Gemeinde von Bethlehem beträgt nur ca. 30 Kilometer Luftlinie. Wegen der Checkpoints dauert die Fahrt aber oft mehrere Stunden, wenn man überhaupt ans Ziel kommt. Ohnehin sind die national-religiösen Siedler mit ihren gegen das Völkerrecht verstoßenen Siedlungen im Westjordanland ein Faktor, der einen selbständigen Staat Palästina immer unwahrscheinlicher macht.

Angst vor weiterer Vertreibung und Zerstörung 

Menschenrechtsorganisationen berichten, dass im Schatten des Gaza-Krieges radikale jüdische Siedler immer aggressiver agierten. Immer häufiger würden Schafe von palästinensischen Hirten gestohlen, Olivenbäume ausgerissen oder illegale Außenposten in und außerhalb von palästinensischen Orten errichtet. Das Militär lasse die Siedler meist gewähren oder decke deren unrechtmäßige Taten sogar.

In Gesprächen mit Nieper und Lange-Sonntag äußerten palästinensische Christ*innen oft die Angst, dass nach Gaza auch die Westbank mit Vertreibung und Zerstörung rechnen müsse. Im Norden der Westbank hat das israelische Militär bereits hart durchgegriffen und mehrere Straßenzüge zerstört.

Einen kleinen Hoffnungsschimmer machen für Nieper und Lange-Sonntag die vielen Nichtregierungsorganisationen aus, die sich für eine Begegnung und Versöhnung zwischen Menschen unterschiedlichster Religion oder Nationalität stark machen. „Wir tun das normalste der Welt: Wir unterstützen Menschen, die um Hilfe bitten.“, betont die Geschäftsführerin von „Road to Recovery“. Die israelische NGO bringt kranke Menschen von der Grenze des Westjordanlandes (und früher auch von Gaza) für notwendige Operationen zu Kliniken in Israel und zurück. Die Geschäftsführerin berichtet aber auch von wachsender Feindschaft gegen ihre Arbeit: war die arabische Seite seit jeher zurückhaltend, die Arbeit der Organisation zu unterstützen, kämen nun Drohungen von jüdischen Israelis hinzu.

Dass ein Zusammenleben von arabischen und jüdischen Israelis möglich ist, zeigten beispielsweise der palästinensische Christ John und der orthodoxe Jude Ruben vom Rossing Center für Education and Dialogue in Jerusalem oder die Verantwortlichen des Leo-Baeck-Education-Centers in Haifa, deren jüdisch-arabisches Summercamp von der EKvW finanziell unterstützt wird. Viele Nichtregierungsorganisationen berichten jedoch auch davon, dass versucht wird, ihren Handlungsspielraum immer weiter einzuengen.

So versuche die rechts-gerichtete derzeitige Regierung Israels, alle Organisationen, die Zuschüsse von ausländischen Staaten erhalten, mit einer 80%igen Steuer zu belegen. Wenn nicht nötiger Druck aus dem Ausland erfolge, würde dieses Steuergesetz das Aus vieler Organisationen bedeuten, die sich für Verständigung und Frieden einsetzten.

„Man lässt keine Menschen verhungern. Punkt.“

Als ein erstes Fazit nennen Lange-Sonntag und Nieper, dass die Gründe, hoffnungsvoll auf das Heilige Land zu schauen, schwinden. Die Sorgen all jener in der Region, die sich für Frieden und Versöhnung, für Menschenrechte und Dialog einsetzen, wachsen. Umso dankbarer wurde der Besuch der Mini-Delegation wahrgenommen und wertgeschätzt.

Wichtig sei, dass die Christinnen und Christen sich für die betroffenen Menschen im Heiligen Land einsetzen. Angesichts der fürchterlichen Zustände in Gaza muss von den Kirchen schon aus humanitären Gründen die eindeutige Botschaft ausgehen: „Man lässt keine Menschen verhungern. Punkt.“

Siehe zum Thema „Gaza-Krieg“ auch die gemeinsame Stellungnahme von EKD und Diakonie-Katastrophenhilfe vom 26. Mai 2025:
https://www.ekd.de/humanitaere-katastrophe-beenden-90523.htm

Weiterer Bericht unter: https://www.evangelisch-in-westfalen.de/aktuelles/detailansicht/news/westfaelische-delegation-besucht-israel-und-palaestina/

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